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Judet-Operation

In einer mehrstündigen Operation haben Professor Dr. Philipp Lobenhoffer und sein Team das nach einem bakteriellen Infekt nahezu steife Knie eines 59-jährigen Patienten wieder beweglich gemacht. Seine Geschichte erzählt der Patient selbst.

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Sorgenvoll zieht der Oberarzt einer orthopädischen Klinik in Westfalen seine Stirn in Falten, als er die Diagnose verkündet: „Das ist eine ausgeprägte Arthrofibrose“. Knapp vier Monate sind seit der ersten Operation an meinem rechten Knie inzwischen vergangen, und zum ersten Mal höre ich im September 2012 den Begriff „Arthrofibrose“. Die schmerzhaften Verwachsungen im Gelenk sind offenbar Folge mehrerer arthroskopischer Eingriffe und einer Narkosemobilisierung. Ich kann mein Knie noch maximal 20 bis 25 Grad beugen, und es tut höllisch weh.

Begonnen hat allles mit einer vermeintlich harmlosen Cortisonspritze und Kniepunktion im April 2012. Meinem langjährigen Orthopäden mache ich keinen Vorwurf. Den Eingriff nimmt er unter sterilen Bedingungen vor – es passiert trotzdem: Ein Erreger namens Staphylococcus caprea gelangt ins Gelenk und verursacht eine schwere Entzündung. Wie und wodurch das geschehen konnte – niemand hat bis heute eine plausible Erklärung. Als Trägerwirt dieses Keims gilt der Ziegenbock – mit Ziegen habe ich in meinem Leben nie etwas zu tun gehabt ...

In einer hessischen Fachklinik wird das Knie Ende Mai arthroskopiert und ein Abstrich entnommen. Im Labor bestätigt sich der Infektionsverdacht. Eine orale Antibiotikatherapie schlägt nicht an. Drei Wochen nach der ersten Arthroskopie liege ich wieder auf dem Operationstisch. Der Arzt entfernt die befallene Gelenkschleimhaut und die obere Schicht des bereits stark angegriffenen Knorpels.

Als ich aus der Narkose erwache, kann ich mein Bein nicht mehr aus eigener Kraft bewegen und schon gar nicht mein Knie beugen. Die Schmerzen sind schier unerträglich. „Das wird schon wieder“, beruhigen mich Ärzte und Physiotherapeuten. Doch die Entzündungswerte steigen, ein Nervkatheter zeigt so gut wie keine Wirkung. Es folgen zwei Revisonsarthroskopien mit Kniespülung und eine Zwangsmobilisierung in Vollnarkose – das Knie bleibt steif.

Eigentlich nicht rehafähig und mit acht Kilo Gewichtsverlust werde ich nach vier Wochen in die Anschlussheilbehandlung entlassen. Die Beugefähigkeit verbessert sich trotz therapeutischer Bemühungen auch in der Rehabilitationsklink nicht, die Schmerzen bleiben und sind nur mit Morphin erträglich. Autofahren ist unmöglich, an Fahrradfahren nicht zu denken.

Es beginnt eine Odyssee durch verschiedene Krankenhäuser und Arztpraxen. Das Ergebnis: weitgehende Ratlosigkeit oder auch die schockierend ehrliche Aussage jenes Oberarztes, der die Arthrofibrose diagnostiziert: „Das kann man operieren, die Erfolgsaussichten würde ich auf 30 Prozent beziffern. Aber wir reißen uns nicht um Sie als Patienten.“ Andere raten – „wegen der Keimgefahr“ – von einer Operation oder gar einem Vollimplantat dringend ab. In einer norddeutschen Fachklinik will man unter septischen Bedingungen die Verwachsungen beseitigen und gleichzeitig ein künstliches Gelenk implantieren. „Bei einem derart traumatisierten Knie viel zu riskant“, warnen andere. Die Alternative wäre eine Komplettversteifung zur Schmerzlinderung. Mich selbst befällt bei dem Gedanken an einen erneuten operativen Eingriff und die Vorstellung, mich mit einem steifen Bein abzufinden, der blanke Horror, und ich investiere meine Hoffnung in die „schonende Medizin“.

Eine weitere vierwöchige Reha in einer Klinik, deren Chefarzt sich sich auf die Behandlung von Arthrofibrosen mit Cortison, Betablockern und besonderer Physiotherapie spezialisiert hat, bleibt leider erfolglos.

Eine Mitpatientin, deren Knie nach einem Motorradunfall steif geblieben ist, erzählt mir von ihrer Operation durch Prof. Lobenhoffer. Recherchen im Internet weisen ihn als ausgesprochenen Kniespezialisten, als Mann für besonders schwierige Fälle aus.

Im Mai 2012 habe ich einen Termin in seiner Sprechstunde. In neun von zehn Fällen bekomme er so etwas wieder hin, meint der Professor nach eingehender Untersuchung und erklärt mir, wie er vorgehen würde. Nach einiger Bedenkzeit entschließe ich mich, es noch einmal zu wagen.

Anfang August werde ich in der Eilenriede Klinik Hannover operiert und bin dank modernster Schmerztherapie, der so genannten Fast-Track-Anästhesie, durch Ärzte des angegliederten Instituts für Anästhesie, Schmerztherapie und Akupunktur sofort weitgehend schmerzfrei. Und noch besser: Mein Knie lässt sich – zumindest passiv – problemlos auf gut 90 Grad beugen. Ein überwältigendes Gefühl.

Aus meiner persönlichen Erfahrung sei mir die Feststellung erlaubt: Es gibt Mediziner, die leidlich ihr Handwerk beherrschen. Es gibt zum Glück aber auch Skalpell-Virtuosen und Ärzte, die über den Tellerrand hinausblicken.

Was folgt, ist strapaziös, aber erforderlich, damit das Knie nicht wieder einsteift. Sieben Tage liege ich praktisch rund um die Uhr in der Motorschiene, die mein Bein bewegt. Die tägliche etwa einstündige Pause für Frühstück und Morgentoilette ist eine Wohltat. Aber das Durchhalten lohnt sich. Und jeder Blick auf das Display des motorischen Folterinstruments erhellt die Miene, wenn dort eine Beugung von 110 Grad und mehr angezeigt wird. Tägliche Lymphdrainage reduziert die Schwellung. Die pflegerische Betreuung in der Eilenriede Klinik trägt ein Übriges zum positiven Gesundheitsverlauf bei. Hier haben Schwestern und Pfleger tatsächlich noch Zeit für ihre Patienten.

Aus der Klinik geht’s nach gut zwei Wochen direkt in die Anschlussheilbehandlung. Drei Wochen nach der aufwändigen Operation sitze ich auf dem Ergometer, beiße die Zähne zusammen und kann – mit ein bisschen Schummeln und eisernem Willen – erstmals nach ca. eineinhalb Jahren massiver Bewegungseinschränkung wieder rund treten. Wahnsinn.

Mitte September traue ich mich auf mein geliebtes Sportrad. Die ersten Pedalumdrehungen kosten nach wie vor Überwindung. Aber es wird immer besser. Was noch fehlt, ist die spontane Bewegungsfähigkeit meines rechten Beines. Zur Wiederherstellung der Beugefähigkeit musste Prof. Lobenhoffer den Quadrizeps, den großen Oberschenkelmuskel, versetzen. Das ist im Gehirn offenbar noch nicht angekommen. Aber die kleinen grauen Zellen sind lernfähig, habe ich mir sagen lassen. Alles nur eine Frage der Zeit, und Geduld habe ich inzwischen gelernt.

Geblieben sind vorerst auch die Schmerzen. Die Bakterien haben große Teile der Knorpelstrukturen zerstört, jede Bewegung reizt das Gelenk, jeden Abend ist das Knie wieder geschwollen. Die siebte und hoffentlich letzte Operation soll auch dieses Problem beseitigen. Statt eines Vollimplantats – „dafür ist es noch zu früh“ – will Prof. Lobenhoffer einen femoropatellaren Gelenkersatz implantieren. Das etwa Euromünzen-große Ersatzteil hinter der Kniescheibe besteht aus Polyethylen und bewegt sich in einem Gleitlager aus Metall. Es soll die Schmerz verursachende Reibung verhindern und dem „Ziegenbockbakterium“ keine Chance lassen.

Der Eingriff erfolgt Anfang 2014 erneut in der Eilenriede Klinik. Der postoperative Verlauf ist unproblematisch. Nach zehn Tagen werde ich in die Reha entlassen. Dort erreiche ich schnell wieder eine Beugung von gut 100 Grad. Der Rest ist eine Sache des Trainings. Im Laufe des Tages schwillt das Knie zwar immer noch stark an, auch die Schmerzen sind nicht komplett verschwunden, aber erträglich. Und es kann nur besser werden. Ich bin optimistisch.

Prof. Dr. Philipp Lobenhoffer zur Judet-Operation und zur Femoropatellaren Prothese

Bei schweren Verletzungen und schweren Infektionen kann eine Verklebung, ja geradezu Verlötung, nicht nur der Gleitschichten des Kniegelenks selbst sondern auch der Muskulatur des Oberschenkels entstehen. So entstehen eine Kniesteife und damit eine schwere Behinderung. Dann hilft es leider nicht mehr, eine Arthrolyse (Gelenklösung) im Kniegelenk selbst durchzuführen, da die Beweglichkeit wegen der Verklebungen am Oberschenkel trotzdem nicht wiederkommt. Hier kann die Operation nach Judet helfen: Das Kniegelenk selbst wird gelöst und anschließend die gesamte Streckmuskulatur am Oberschenkel an ihren Ursprüngen an der Hüfte und am Becken abgelöst. Die Muskulatur kann dann nach unten rutschen und somit wieder den Weg des Kniegelenks in die Beugung erlauben. Es handelt sich allerdings um eine schwierige und gefährliche Operation, die nur besonders erfahrene Chirurgen durchführen können.

Femoropatellare Prothese

Eine schwere Infektion des Kniegelenks kann die Knorpelschichten des Gelenks massiv schädigen. Wenn dabei vor allem die Kniescheibe und ihr Gleitlager betroffen sind, kann ein selektiver Ersatz der Gleitrinne und der Kniescheibenrückfläche helfen, die Beweglichkeit wiederherzustellen und Schmerzfreiheit zu erreichen.